Band 5
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Das in Jahrhunderten veränderte Schriftbild eines Ortsnamens - am Beispiel Feuchtwangen
von
Werner Uhlich

Seit dem frühen Mittelalter begegnet uns eine Vielfalt unterschiedlicher Schreibweisen des Namens der Stadt Feuchtwangen, gelegen an der Sulzach im Schnittpunkt Rothenburg o. T. - Dinkelsbühl sowie Crailsheim - Ansbach. Einhundertachtundachtzig mal der Name Feuchtwangen, jeweils anders geschrieben. Eine beachtliche Zahl an Schreibweisen.

Was bedeutet der Name Feuchtwangen, wie ist diese Ortsbezeichnung zustande gekommen? Hier gibt es widersprüchliche Auslegungen. Einmal die Ableitung von der Fichte und zum anderen Mal vom feuchten, sumpfigen Erdboden. Folgen wir der Sagenwelt über die Gründung des Benediktinerklosters und der Klosterkirche, so soll sich an diesem Ort ein dichter Wald befunden haben, in dem sich Kaiser Karl der Große bei einer Jagd fieberkrank verirrt haben soll. Ob Fichten-, Laub- oder Mischwald, darüber schweigt sich der Sagenbrunnen aus. Durch eine auffliegende Taube sei der kranke Kaiser auf eine Quelle aufmerksam geworden, an der er seinen Durst stillen konnte und fieberfrei geworden sei. Hierbei habe er sich auf einen Fichtenstumpf gesetzt. Die Versteinerung eines Fichtenstockes, eben dieser, wurde bei Renovierungsarbeiten 1572 unter dem Marienaltar der Stiftskirche vorgefunden und wird noch heute im ehrwürdigen Kreuzgang des ehemaligen Klosters den Besuchern präsentiert. Diese Versteinerung dürfte jedoch von einer Araukarie stammen.Vermutlich hatte dies nach Verlust der Reichsfreiheit der Stadt 1376 auch  zum heutigen Stadtwappen, der Fichte, geführt.

Sprachwissenschaftler wie Förstemann 1, von Reitzenstein 2, und Wasserzieher 3 führen die Deutung des ersten Wortstammes „feucht" auf „Fichte" (althochdeutsch „fiet, fieta oder fiutha" 4 oder mittelhochdeutsch „viehte" 5) zurück.Die mittelhochdeutsche Bezeichnung für „feucht" (viuthe, vuchte bzw. viuhtec) 6 lassen sie außer acht, desgleichen die im althochdeutschen Sprachgebrauch. Schmeller führt wohl beide, alt- und mittelhochdeutsche, Bezeichnungen für Fichte und feucht auf. Hierbei erwähnt er Feuchtwang, Pinopolis und Phiutwang, entscheidet sich aber nicht über eine Ableitung von Feuchtwang. 7 Grimm wiederum nennt nicht Feuchtwang(en), sondern er bringt lediglich die alt- und mittelhochdeutschen Wörter für feucht und Fichte. 8 Nehmen wir die Worterklärung für die uns bekannten frühesten Bezeichnungen der Stadt Feuchtwangen, also den althochdeutschen Wortschatz „fuhti, fiuhti" heran, so bedeutet der erste Wortstamm einwandfrei „feucht". 9

Die frühesten Nennungen von Feuchtwangen können wie folgt erläutert werden: Der erste Wortstamm bedeutet jeweils „feucht" und der zweite jeweils „Anger". Fiuhctinwanc (Konzil zu Aachen 817/819), Fiuhtuuanga (Verbrüderungsbuch Kloster Reichenau 824), Phyutvuang (Ph ersetzt f und y ersetzt i - Froumundbriefe Nr. 1, Feuchtwanger Heimatgeschichte Bd. 1 S. 67 993) und Vuhtinwanc (Lebensbeschreibung des Heiligen Udalrici 983 - 993).

Die Wortbedeutung der erwähnten Sprachwissenschaftler bleibt nicht unbestritten, wenn auch die geologischen Verhältnisse mit herangezogen werden. Vermutlich hatte die Sulzach, wie auch andere Flüsse, in den frühen Jahrhunderten weitaus mehr Wasser als heute mit sich geführt. Im Hinblick auf den zweiten Wortstamm „wangen" (steht für Aue, Anger, Grasfläche, Wiesenhang, 10 Wiesenland) ist es schwer vorstellbar, daß in einem angenommenen dichten Fichtenwald an der Sulzach eine Wiesenfläche gewesen sein konnte, bevor hier gesiedelt wurde.Von Reitzenstein bezeichnet in seinem Lexikon (S. l36) das althochdeutsche Grundwort „wang" als Feld, später im Baierischen als bewachsenes, leicht geneigtes Gelände (S. 35 bei Amerang). Denkbar ist jedoch, daß hier bei der Sulzachfurt eher sumpfiges, feuchtes Gelände war, als ein sandiger Boden. Ein sandiger Boden wird ja von Fichten bevorzugt. Lehmhaltiger Boden (schon im l4. Jahrhundert besaß die Stadt Feuchtwangen eine Ziegelei) 11 und feuchtes Gelände stehen hier im Gegensatz zur recht sandigen Beschaffenheit des Bodens nur wenige Kilometer südöstlich von Feuchtwangen im Raum zwischen Thürnhofen und Dürrwangen, wo heute noch im Dentleiner Forst die Flurbezeichnung Haid zu finden ist. Dürrwangen (Durnewanc l258) bedeutet, so auch von Reitzenstein, ein mit Dornbüschen bewachsener Anger, ein dorniges Gefilde, ein eher sandiges statt sumpfiges Gelände.Thürnhofen, im Mittelalter auch mit Dürrenhof bezeichnet, 12 hat ebenfalls eine sandige geologische Grundlage, desgleichen Dentlein (Tentlein, Tännlein - abgeleitet von Tanne). 13 So schließe ich mich der Auffassung von Wilhelm Schaudig 14 an, daß die Ortsbezeichnung Feuchtwangen von der feuchten Bodenbeschaffenheit hergeleitet ist. Schon frühzeitig im l3. Jahrhundert finden wir die Schreibweise Feuehtwang, wobei das zweite „e" durchaus ein Lese- oder Schreibfehler gewesen sein und statt dessen ein „c" gestanden haben könnte. 15 Die Schreibweise Fiechtwange (l335) für Feuchtwangen erscheint nur ein einziges Mal in den überprüften Unterlagen.

Bemerkenswert hierzu ist das Ergebnis meiner Nachforschungen von 1988 über ein zweites „Feuchtwangen" in Schretzheim bei Dillingen. Anton Steichele schreibt in seiner Geschichte des Bistums Augsburg (1872) im Abschnitt Landkapitel Dillingen IV. Pfarrei Schretzheim als Anmerkung auf Seite 20, daß in alter Zeit den Namen Schretzheim nur der zur Pfarrei Schretzheim gehörige Teil des Dorfes rechts der Egau getragen haben soll. Der andere Teil links der Egau habe Feuchtwangen geheißen. 16 1728 gebraucht ein Aktenstück des bischöflichen Archivs zu Augsburg noch für den Ortsteil links der Ege den Namen Feuchtwangen. Nach Stadtarchivar Dr. Rudolf Poppa in Dillingen sei der Hinweis von Steichele heute noch gültig. Die dortigen Wiesen seien zum Teil noch so feucht, daß nach einem Spatenstich das Grundwasser zutage trete. Ein Weg, der diesen Ortsteil durchschneidet, heiße deshalb „Feuchtwanger Weg". 17
 
 


Uraufnahmekarte von Schretzheim (damalige Schreibweise: Schrezheim) 1826 (mit Einzeichnungen vom Verfasser), heute Stadt Dillingen an der Donau. Der Ort liegt an der Egau, die damals „Ege" hieß.







Die althochdeutsche Sprache ging bereits zu Beginn des ll. Jahrhunderts in das Mittelhochdeutsch über. Diese Entwicklung läßt sich aber nicht von Jahrhundert zu Jahrhundert fest abgrenzen, so daß manches althochdeutsche Wort schon frühzeitig durch die mittelhochdeutsche Bezeichnung abgelöst wurde oder noch in den mittelhochdeutschen Sprachzeitraum hinein verblieb. In den weiteren Jahrhunderten bildete sich die Bezeichnung „feucht" immer mehr heraus, wobei die unterschiedliche Schreibweise der Schreiber in den Kanzleien zu berücksichtigen ist.

Bis zum l8. Jahrhundert fehlte es an einer einheitlichen Schreibweise der deutschen Sprache. Die Namen - hier Ortsbezeichnungen - wurden so geschrieben, wie sie der Sprecher oder Diktierende ausgesprochen hat, der Schreiber diese Worte klangmäßig aufnahm und sie nach seiner Art dann schriftlich fixierte. Mundartliche Eigenheiten und Aussprache, besonderer Dialekt; rohe und willkürliche Orthographie der Handschriftensprache; Schreibweisen althochdeutsch mit mittelhochdeutsch vermischt, waren das Ergebnis. Lautstarke Sprache kann zur Doppelung der Buchstaben führen: p zu pp.s zu ss.Harte Aussprache kann d zu t und stimmhafte von k zu g werden lassen. So ändert sich die Orthographie ebenso bei Sprach- und Lesefehlern: tz zu ds,aus m wird in (in deme selbem klostere = in deme selbein klostere). Uo und ou sind im Grunde genommen Schreibungen der ausgehenden althochdeutschen Sprachperiode und nicht des ausgehenden l2./13. Jahrhunderts. Sehr häufig treffen wir bei der Wortschreibung ein v statt u oder uu statt w an.
 
 


Kreuzer  genädiglich Reichstaler Herrn  Herrn  endlich


hochgelehrter Taler  Taler  Johannes egenannt geforscht

Die Faksimilezeilen verdeutlichen die unterschiedlichsten Abkürzungen teilweise gleicher Wörter. Es sind deutsche Abkürzungen unter Verwendung von Zeichen in gotischen Schriften und deutscher Kurrentschrift.

Oft wurden bei den Schriftstücken Kürzungen am Wortende vorgenommen: aut = autem (aber, nämlich), g = ergo (also, folglich), e’ = et (und). Dem Leser ist es somit überlassen, die richtige Wortergänzung vorzunehmen. Die besonderen Gepflogenheiten in den verschiedenen Kanzleien waren oft ausschlaggebend für eine andere Schreibweise. Mittelalterliche Mundarten je nach Vorstand (cancellarius) der Kanzlei oder des Dienstherren und keine mittelhochdeutsche Schriftsprache bestimmten die Kanzleisprache und -schreibweise. Das Bestehen einer Schriftsprache ist nicht so selbstverständlich wie das der Mundart. Unter der „niederfränkischen Geschäftssprache" verstand man den Dialekt der fränkischen und benachbarten Kanzleien von Mainz aufwärts bis in die Niederlande. In der lateinischen Urkundensprache wurden nicht immer alle Worte nach der alten lateinischen Grammatik geschrieben: statt ae - e oder p - b (pago - bago). Später wurden häufig deutsche Worte mit einer lateinischen Endung versehen: Feuchtwangen - Feuchtwangensis. Es folgten Bildungen neuer Wörter für neue Begriffe mit Hilfe von lateinischer Endung: aus beneficium wurde beneficialis, beneficiarius. Die Übernahme der deutschen Sprache in lateinische Urkunden ging zunächst von Süd- und Westdeutschland aus, etwa im l2. Jahrhundert. Damit verschwanden auch Formularbücher der Kanzleien mit einem Vulgärlatein. Nur Wissenschaftler können die Schriftstücke einzelner Schreiber und Kanzleien nach eingehender Überprüfung der jeweiligen Kanzlei zuordnen. 18 Urkunden in deutsch geschrieben, dann ins Lateinische übersetzt und danach erneut wieder in deutschen Text umgesetzt, waren nicht immer frei von Übersetzungs- und Schreibfehlern oder eigenmächtigen Zusätzen.

Die nachstehenden verschiedenen Schreibweisen von Feuchtwangen lassen sich am besten in alphabetischer Reihenfolge wiedergeben. Spätere Abschriften von Urkunden und Schriftstücken, Übersetzungen aus dem Lateinischen, sowie spätere Publikationen der Geschichtsforschung erschweren eine chronologische Entwicklung der Schreibweise des Namens Feuchtwangen darzulegen; denn häufig wurde der Ortsname dabei nicht von der Originalvorlage übertragen, sondern nach eigenem Gutdünken ausgeschrieben. Auch wiederholt sich die eine oder andere Schreibweise noch nach Jahrhunderten: Feuchtwang 1293 sowie l440, Vuchtewang l296 sowie l433.

Dennoch sei eine kurze Übersicht über die denkbare Entwicklung der Schreibweisen nach chronologischer Sicht herausgegriffen: Fiuhctinwanc (Konzil zu Aachen 817/8l9), Fiuhtuuanga, Fiutuuanga (Verbrüderungsbuch Kloster Reichenau 824), Vuhtinwanc (Lebensbeschreibung des Heiligen Udalrici 983/993), Phyuhtvuang  (Froumundbriefe Nr. l - 993), Fuchtwank (ll97), Fivhtwangen, Fuochtwang, Veuhtwanch, Viuchtwanc (l280), Vihtwang, Vochtewanch, Vuhtwang, Vuichtwangen (1293), Fiuchtewang, Vuchtewanden (1303), Feuechtwanc (1306), Feuchtwang (1376), Feuchtwangen (1404), Fewtwangen (1428).

Nach Abschluß des Manuskriptes gefundene weitere Schreibweisen sind nicht berücksichtigt.


Erläuterungen zur alphabetisch aufgestellten Schreibweise >>

1) Förstemann, Ernst: Althochdeutsches Namenbuch. Bd. 2 Ortsnamen. München 1859.
2) Reitzenstein, Wolf-Arnim Frhr. v.: Lexikon bayerischer Ortsnamen. München 1986.
3) Wasserzieher, Ernst: Woher? Ableitendes Wörterbuch. 1918.
4) Graff, E. G.: Althochdeutscher Sprachschatz oder Wörterbuch der althochdeutschen Sprache. Bd. III Sp. 45l. Hildesheim l963.
5) Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Bd. III Sp. 337. Stuttgart l979.
6) ebenda Sp. 376.
7) Schmeller, J. A.: Bayerisches Wörterbuch. Bd. I Sp. 688. München 1983.
8) Grimm, Jacob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 3 Sp. l577. München 1991 (Leipzig 1862).
9) Graff, E. G.: Althochdeutscher Sprachschatz. Bd. 9 Sp. 446.
10) Bahlow, Hans: Deutsches Namenlexikon. Mannheim l983. S. 53l.
11) Hörber, Willi: Die Urkunden der Stadt Feuchtwangen 1284 - 1700 (- 1772). S. 70, U 102  - 1470 Januar 3l. Feuchtwangen 1979. - Leonhart Weydner,  Ziegler zu Feuchtwangen. Die Ziegelei der Stadt Feuchtwangen dürfte aber um vieles früher bestanden haben. Nach Bärmeyer im Jahr 1390 erbaut. - St A Feu. I, 6. S. 826.
12) Philipp, Karl: Geschichte des Marktes Schopfloch. Schopfloch 1980. S. 24.
13) Braun, Gustav: Zur Geschichte Dürrwangens. In: Alt-Dinkelsbühl 3. Jahrgang 1915/1 S. 1 - 5. Braun ist der Auffassung, daß Dürrwangen seine Namensbezeichnung nicht von der geologischen Beschaffenheit her habe, sondern von den Grundherren des 7 ½ Kilometer südöstlich befindlichen Ortes Dühren. Der Ortsadel von Türn (Dürn, Dürner. Türner von Türn, von Düren), erstmals im Jahre 1340 urkundlich unter Hans von Turn und dessen Sohn Konrad erwähnt, habe vermutlich Besitz in (von) Dürrwangen gehabt. Deshalb leitet Braun Dürrwangen von Dühren ab und deutet „Dührener Grund" als Ableitung. Dieser Annahme kann ich nicht folgen. Wenn die Grundherren von Dühren einen so großen Besitz gehabt hätten (Braun zählt Dühren, Dürrwangen, Thürnhofen und auch Dentlein auf), wären sie bestimmt in der Lage gewesen, ein eigenes Siegel zu führen. Dies war aber nicht der Fall. Auch wäre dieser Adel aus irgendeinem Grund schon früher als erst im l4. Jahrhundert und öfter in Erscheinung getreten. Dahingegen finden wir urkundlich bereits seit dem l2. Jahrhundert bis über das Jahr 1262 hinaus die Herren von Wahrberg im Besitz von Dürrwangen, das später bis 1433 den Herren von Dürrwangen aus dem Geschlecht derer von Nordenberg gehörte und danach bis 1796 im Besitz der Grafen von Oettingen war.
14) Schaudig, Wilhelm: Geschichte der Stadt und des ehemaligen Stiftes Feuchtwangen. S. l. Feuchtwangen 1927.
15) Engel, Wilhelm: Urkundenregesten zur Geschichte der kirchlichen Verwaltung des Bistums Würzburg im hohen und späten Mittelalter 1136 - 1488 (Regesta Herbipolensis II). Bd. 9 Urk. Nr. 281. - In: Kramer, Theodor: Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums Würzburg. Würzburg 1954.
16) Steichele, Anton: Das Bisthum Augsburg ... Bd. III S. 20.
17) Uhlich, Werner: Rätsel um zweites Feuchtwangen ist gelöst. - In Fränkische Landeszeitung Nr. 40 v. 17.2.1989.
18) Breslau, Harry: Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien. Berlin 1958 (Nachdruck von 1889).
Erstellt: 8.3.1998 - letzte Änderung am 2.2.2000 durch Hans Ebert
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