Band 2
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Die Expansion des Ordens von Preußen nach Westen

Als im November 1308 der Deutsche Orden unter dem Landmeister Heinrich von Plötzke sich anschickte, Danzig, Pommerellen und Teile Pommerns mit Gewalt, aber auch teilweise durch Käufe, zu gewinnen, war es für den Hochmeister unerträglich, in Venedig bleiben zu müssen und die sich überstürzenden Ereignisse nur nachträglich gutzuheißen. Die Kurie in Livland war völlig überrascht von den Unternehmungen des Ordens an der Westgrenze von Preußen, da sich der Orden um diese Zeit wenig in Livland hervortat.

Eine bleibende und sichere Verbindung von Deutschland nach Preußen war von größter Bedeutung für den Orden. Der Weg über Brandenburg, Pommern und Pommerellen ebnete den Zustrom von Siedlern aus den Weststaaten wie Holland und Belgien. Der bisherige Weg nach Preußen über die Ballei Böhmen-Mähren und Polen war zwar durch die guten Beziehungen des Hochmeisters und des Landmeisters von Preußen zum König von Polen, Böhmen und Ungarn, Wenzel III., noch nicht gefährdet. Aber wie lange hielten die Interessen der polnischen Teilherzöge am Deutschen Orden an? Noch wurde der Orden mit seinen Rittern gebraucht. So bat am 10. Oktober 1305 König Wenzel den Landmeister von Preußen, Konrad von Sack, um Unterstützung seines polnischen Hauptmannes Ulrich von Bozcowicz im Kampf gegen die Litauer, als diese im Lande Kalisch eine Burg belagerten und die polnische Besatzung zu schwach war, um sich freizukämpfen. 70


Fürstengruppe Waldemar der Große - Markgraf von Brandenburg
Fürstengruppe Markgraf Waldemar der Große (1308 - 1319) mit Siegfried von Feuchtwangen (links) und Heinrich Frauenlob (rechts) von Reinhold Begas. Diese Fürstengruppen standen ehemals in der Siegesallee von Berlin. Heute werden Teile davon im Lapidarium von West-Berlin aufbewahrt. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, 1 Berlin 61

Die große Expansion des Deutschen Ordens von Preußen aus nach Westen hatte seine Vorgeschichte im Wunsch der Markgrafen von Brandenburg, Otto IV., Hermann und Waldemar, das Land Pommern zu erwerben. König Wenzel von Polen erklärte sich am 8. August 1305 bereit, Pommcrn abzutreten, wenn ihm die Brandenburger im Gegenzug Meißen übergäben. 71 König Wenzel III. wurde aber ein Jahr später, am 4. August 1306, ermordet. 72

Erbe des Großpolenreiches wurde nun der Herzog Wladislaw Lokietek am 1. September 1306 in Krakau. Der Papst erkannte ihn aber erst 1320 als König an. 73 Die Markgrafen Otto IV. und Waldemar von Brandenburg rückten in Ostpommern ein, um sich ihre Rechte zu sichern, die ihnen die Patrizierfamilie Swenza von Danzig eingeräumt hatte. Petrus Swenza, Erbkanzler von Polen und Gubernator (Statthalter) in Pommerellen, hielt mehr zu den Brandenburgern als zu Polen. 74

So besetzten die Brandenburger auch Danzig bis auf die Burg. Diese wurde noch von dem polnischen Hauptmann Bogussa mit seinen Söldnern gegen die Brandenburger verteidigt. Herzog Lokietek wandte sich nun hilfesuchend an den Orden, der bald die Brandenburger vertreiben konnte. Nun verlangte aber der Orden von Bogussa, der die eine Hälfte der Burg besetzt hielt, 10.000 Mark Silber für die während der Kampfhandlungen dem Orden entstandenen Kosten. Heinrich von Plötzke zwang schließlich Bogussa zur Räumung der Burg, solange die verlangten Kriegskosten nicht bezahlt waren. Als Lokietek nur 300 Mark bot, besetzte der Orden ganz Danzig als Pfand für die zu zahlende Summe.

Hierbei soll es nach polnischen Anklagen zum Kampf zwischen der polnischen Besatzung unter Bogussa und den Ordensrittern gekommen sein. 10.000 Menschen seien dabei in Danzig umgebracht worden. Die Stadt sei gänzlich zerstört worden. Lokletek habe den Landmeister auf den Knien um Rückgabe von Pommerellen gebeten. Von dem Ordensritter Siegfried von Weißenfels wußte man zu berichten, daß er eine Menge Stricke am Gürtel befestigt habe. Er habe gelobt, nicht zu essen, bis an jedem Strick ein Pole hänge. Diese Aussage wurde irrtümlich dem Hochmeister Siegfried von Feuchtwangen zugeschrieben, der um diese Zeit in Venedig war.74a Diese maßlosen Übertreibungen sollten den Prozeß 1320 gegen den Deutschen Orden beeinflussen. Bei diesem Prozeß wußten die 25 polnischen Zeugen nichts von den 10.000 getöteten Menschen in Danzig, bezeichnenderweise aber Zeugen aus dem späteren Prozeß 1339. 75

Die ablehnende Haltung des Herzogs Wladislaw Lokietek veranlaßte eben den Orden, am 14. November 1308 auch die Stadt Danzig zu erobern. 76 Ein halbes Jahr später wurde am 6. Februar 1309 dem Deutschen Orden von Herzog Przemyslaw von Kujawien die Stadt Dirschau übergeben. Vermutlich waren Stadt und Bürger damit nicht einverstanden und zeigten sich dem Orden gegenüber feindlich; denn Bürgermeister, Rat sowie die Gemeinde mußten sich verpflichten, nach Pfingsten ihre Stadt zu verlassen und ohne Erlaubnis des Ordens dorthin nicht mehr zurückzukehren. 77 Sehr wahrscheinlich war der Orden aber auch daran interessiert, Dirschau mit deutschen Siedlern zu durchsetzen. Schon zwei Monate später, am 1. Mai 1309, beurkundet der Landmeister von Plötzke in Thorn, daß Herzog Przemyslaw von Kuiawien nunmehr dem Orden auch seine Besitzungen im Werder zwischen der Nogat und dem Frischen Half verkauft habe. 78 Schließlich fiel am 9. September 1309 nach einer zweimonatigen Belagerung auch Schwetz in die Hände des Ordens. 79

Da Herzog Wladislaw nicht einwilligte, dem Orden gegen die Zahlung von 10.000 Mark Silber Danzig, Pommerellen und Ostpommern zu überlassen, wandte sich der Landmeister von Preußen an dessen Gegenspieler, die Markgrafen von Brandenburg. Sie waren auch einverstanden, und Markgraf Waldemar von Brandenburg verzichtete für die gleiche Summe für sich und das Haus Brandenburg auf Pommern. Damit gewann der Orden ein Siedlungsgebiet ungeheueren Ausmaßes und eine der bedeutendsten Handelsstädte im neuen Einzugsgebiet.

Zu Soldin (etwa 65 km südlich von Stettin) urkundet Markgraf Waldemar von Brandenburg am 13. September 1309, daß er dem Deutschen Orden in Preußen die Burgen Danzig, Dirschau und Schwetz mit ihrem Gebiet für 10.000 Mark Silber verkauft habe. 80 Mit diesem Verkauf ging Waldemar von Brandenburg gleichzeitig die Verpflichtung ein, die Verzichterklärung des Fürsten von Rügen und des Herzogs von Glogau sowie die königliche Bestätigung für das vom Orden erworbene Gebiet herbeizubringen. Der Orden hingegen versprach, die päpstliche Bestätigung zu erwirken. Die Verzichtleistung der anderen Erbberechtigten wurde bald beigebracht. 81 Die Verzichterklärung der Herzöge von Glogau (100 km nordöstlich von Görlitz/ DDR in Polen) Heinrich, Conrad und Bonislaus, zugunsten der Markgrafen Waldemar und Johann von Brandenburg auf Pommern erhielt der Deutsche Orden am 3. März 1310 zu Berlin ausgestellt. 82 Etwa einen Monat später, am 12. April 1310, wurde zu Tribsee (etwa 40 km östlich von Rostock) die benötigte Verzichterklärung zugunsten der Markgrafen von Brandenburg von Fürst Wizlaw von Rügen abgegeben. 83 Als letzter Akt kam die königliche Bestätigung vom 27. Juli 1310 und 12. Juli 1311, in der Heinrich VII. alles Gebiet und das noch zu erobernde Land in Pommern für den Orden in Schutz nahm. Die Bestätigung von 1311 erreichte den Hochmeister Siegfried von Feuchtwangen nicht mehr. 84

Der Hochmeister befand sich am 30. März 1309 "in den Feiertagen zu Ostern" in Wien und stimmte mit Bruder Berthold, Komtur zu Wien, dem Vergleich mit dem Bürgermeister, dem Rat und den Bürgern der Stadt Wien hinsichtlich eines Kellers beim Deutschen Haus zu Wien zu. 85 Wir wissen nicht, wie sich der Hochmeister zu den Ereignissen in Preußen verhielt. Sehr wahrscheinlich wird er die Aktionen seines Landmeisters Heinrich von Plötzke gebilligt haben. 86 Es ist nicht auszuschließen, daß er sogar mit dem König und den Markgrafen von Brandenburg diesbezüglich in Verbindung stand.

Der kränkliche Papst Clemens V. mußte noch im gleichen Jahr dem Wunsch König Philipps IV. von Frankreich nachkommen und den päpstlichen Stuhl nach Avignon verlegen. Es war eine Demütigung für den Papst, der andererseits von einem ungewöhnlichen Ehrgeiz beseelt war. Doch nur für die Schwachen war er unbeugsam und gewalttätig. Dem Mächtigen, wie König Philipp gegenüber, wurde er selbst zum Schwächling, hatte keinen inneren Halt und war wankelmütig, unterwürfig und nachgiebig. So war er ein willfähriges Werkzeug Philipps des Schönen. Dies zeigte sich auch schon im Juli 1306, als der Erzbischof Friedrich und nicht er selbst den Bischof von Dorpat, Engelbert, bat, sich um die Einhaltung der dem Orden vom Papst auferlegten Bedingungen zu sorgen. 87

Den sich überstürzenden Ereignissen in Preußen konnte die Kurie nicht mehr länger schweigend zusehen. Papst Clemens V. befahl am 1. September 1309 der Geistlichkeit in Deutschland, Polen, Preußen und Schweden, den Propst Paul von Cavillac, den er zur Untersuchung in Sachen der Templer abfertige, bei der Reise durch ihr Gebiet aufzunehmen, zu fördern und ihm zum eigenen Unterhalt und zu dem seines Gesindes täglich 4 Goldgulden zu zahlen, einem von ihm etwa ernannten Vertreter dieselben Dienste zu leisten, jedoch nur 2 Goldgulden täglich zu geben. 88

Dann war es soweit, und der Papst schickte am 21. September den Propst nach Preußen. Dort sollte er aber mehr den Anschuldigungen gegen den Orden in Preußen und Livland nachgehen.


70) UB Pr. I/2 S. 529 Nr. 841
71) UB Pommer. S. 563 Nr. 640; UB Pr. I/2 S. 525 Nr. 835. Voigt Gesch. Pr. IV S. 197
72) Meyers Lexikon 8 S. 497. Tumler, DO S. 321
73) Krollmann, Gesch. S. 31
74) Hartknoch, Alt- u.neues Pr. S. 296
74a) Zedler, Univ.Lexikon IX F. S. 685
75) Danzig wird um diese Zeit keine 10.000 Menschen beherbergt haben (vgl.  Keyser, Legende S. 165ff).  SS. rer.  Pruss. 11 S. 458 u. III S. 63, 85 u. 788 - Posilge: Zeugenaussagen von 1339 - Im Prozeß 1339 gegen den Deutschen Orden wurde ein Recht der polnischen Krone auf Pommerellen und das Kulmer Land konstruiert mit dem unrichtigen Argument, Pommerellen und das Kulmer Land hätten schon immer nach dem polnischen Gesetz den Peterspfennig bezahlt. (Der Orden hatte sich gegen den Peterspfennig ausgesprochen) - Polen hatte 1227 Pommerellen verloren und 1294 nicht als Teil Polens gewonnen, sondern als persönliche Erbschaft des Herzogs Przemislaus. Dessen Erbe war als Schwiegersohn Wenzel von Böhmen und nicht der erst im 6. Grad verwandte Wladislaw Lokietek. - Tumler, DO S. 322
76) Voßberg, Münzen S. 35
77) UB Pomnier. S. 589 Nr. 668; UB Pr. I/2 S. 567 Nr. 901
78) UB Pommer. S. 592 Nr. 672; UB Pr. I/2 S. 568 Nr. 904
79) Engelbrecht, Pommern S. 71; SS.rer.Pruss. II S. 64 Anm. 4
80) UB Pommer. S. 595 Nr. 676; UB Pr. I/2 S. 570 Nr. 908
81) Friedrich, DRO S. 84. Voigt Marienburg S. 88; Engelbrecht, Pommern S.73
82) UB Pommer. S. 601 Nr. 682; UB Pr. II S. 3 Nr. 6
83) UB Pommer. S. 601 Nr. 683; UB Pr. II S. 4 Nr. 9
84) Friedrich, DRO S. 84; Tumler, DO S. 493; UB Pr. II S. 11 Nr. 16
85) DOZA Wien 30. März 1309, sowie ebenda Tauschbrief Nr. 36, Abschrift 1388; Dudik, Münzsammlung S. 86; Pettenegg, Urk. I S. 231 Nr. 883 (769a).  Pettenegg gibt allerdings als Datum 3. April 1309 an, während das Original den 30. März aufweist.
86) Görski, Zakon Krzyzacki S. 62
87) Eitel, Kirchenstaat S. 7 ff
88) UB Pr. I/2 S. 569 Nr. 907

Erstellt: 16.3.1998 durch Werner Uhlich
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